Montag, 17. Oktober 2011

Im tiefen Osten: Elbsandsteingebirge und Oberlausitz - Australia meets Germany in Ostdeutschland

"Nur wo du zu Fuß warst,
bist du auch wirklich gewesen."
Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832)

Kurz nach 7:00 Uhr starten wir zu unserem Morgenlauf an der Oberelbe. Es ist mit ca. 5 Grad noch recht frisch, aber wir dürfen uns auch heute wieder auf großartiges Herbstwetter freuen. Wendepunkt unseres Laufs ist nach knapp 7 km der Markt der sehr hübschen kleinen Ortschaft 'Stadt Wehlen', die uns aufgrund von 3 früheren Aufenthalten bestens bekannt ist. Bella, die nach ihrer Knie-OP nicht mitlaufen konnte, erwartet uns frierend am Hotel 'Elbparadies', um uns zu empfangen und Fotos aufzunehmen.



Impressionen im Elbsandsteingebirge

Urtümliche, bizarre Berglandschaften, deren Ursprünge in einer Traumzeit liegen könnten, sind nicht nur in Übersee zu finden, sondern aus deutscher Sicht auch vor der eigenen Tür, nämlich in einem Landschaftschutzgebiet, das sich rechts der Oberelbe über Kerngebiete des 'Elbsandsteingebirges' von Sachsen ('Nationalpark Sächsische Schweiz') bis nach Tschechien ('Nationalpark Böhmische Schweiz') erstreckt. Der 'Nationalpark Sächsische Schweiz' zählt zwar zu den kleineren der 14 deutschen Nationalparks, aber das Gebiet ist trotzdem so groß und so differenziert in seinem Angebot, dass es sehr unterschiedliche Anforderungen an Interessen und Fähigkeiten von Besuchern stellt und umgekehrt ein breites Spektrum von Besucheransprüchen adäquate Berücksichtigung findet.
Link zur Webseite des Nationalparks Sächsische Schweiz

Allein im Kerngebiet des Nationalparks sind mehr als 400 km markierter Wanderwege ausgewiesen, die gemäß Schwierigkeitsgrad von 'leicht' bis 'anspruchsvoll' kategorisiert und farblich kenntlich gemacht sind. Die Fülle an hoch attraktiven Wanderrouten ist in endlicher Zeit nahezu unerschöpflich. Im Ergebnis verteilen sich die vielen Besucher ausgesprochen unauffällig. Im Kerngebiet des Nationalparks besteht im übrigen Wegepflicht, d.h. die Wege dürfen nicht verlassen werden. Das ist auch gar nicht notwendig, um Tafelbergen, Sandsteinnadeln und bizarren Felsriffen buchstäblich hautnah zu kommen. Zum Rasten lädt ein dichtes Netz gastlicher Wanderhütten ein. Radfahrer müssen nicht weinen, denn viele Hauptrouten sind auch als Radwege zugelassen. 

Bei jährlich ca. 1,7 Millionen Besuchern allein im 'Nationalpark Sächsische Schweiz' ist diese Region natürlich kein "Geheimtipp". Massentourismus ist jedoch nur an der 'Bastei' und vielleicht noch an den 'Schrammsteinen' zu befürchten. Jenseits dieser wenigen Kulminationspunkte sind die Wanderer bereits wieder unter sich. Wer die Bastei über die außergwöhnlich schönen Wanderrouten des Elbsandsteingebirges erreicht oder knapp 200 m über Treppen von Rathen aufsteigt, für den ist dieser Genuß kostenlos. Parkplätze für Autos sind natürlich ebenso kostenpflichtig wie die Anfahrt mit dem "Basteikraxler", eine Buslinie, die von Mitte April bis Ende Oktober zwischen Stadt Wehlen und der Bastei verkehrt.  
 
Marktplatz Stadt Wehlen
Nach ausgiebigem und reichhaltigem Frühstück fahren wir mit dem Auto bis Stadt Wehlen, eines von mehreren Eintrittstoren in das faszinierende Landschaftschutzgebiet.
Von Stadt Wehlen starten wir zur Bastei, eine bequem zugängliche, eindrucksvolle Felsformation, die als einer der markantesten Aussichtspunkte im 'Nationalpark Sächsische Schweiz' gilt. Gisela und Richard nehmen den "Basteikraxler". Angie und ich gehen zu Fuß zur Bastei. Unser Weg führt durch alte Buchenwälder über den 'Steinernen Tisch' auf einem Abschnitt der historischen Wanderroute des 'Fremdenwegs', der sich hier mit dem 'Malerweg' schneidet. Der als 'Fremdenweg' bezeichnete touristische Fernwanderweg ist zur Zeit der Romantik angelegt worden, um begüterten Kreisen die wildromantische Landschaft der 'Sächsischen Schweiz' zwischen den Elbe-Ortschaften Pillnitz und Herrnskretschen (heute tschechisch 'Hřensko') zu erschließen.



Bastefelsen mit Basteibrücke und Königstein im Hintergrund
Basteibesucher müssen ganzjährig mit Massentourismus rechnen. Die Infrastruktur ist für Massentourismus ausgelegt und verkraftet daher den Besucherstrom, der sich vor allem auf die Basteibrücke und die umgebenden Aussichtspunkte konzentriert. Wer daran Gefallen findet, kann sogar in einem unmittelbar an der Bastei liegenden gleichnamigen Berghotel der Vier-Sterne-Kategorie nächtigen. Einsamkeit ist hier bestimmt nicht zu befürchten, denn die Touristenströme ziehen um das Hotel. Dass der relativ einfache Zugang zu diesen einzigartigen Aussichten viele Menschen anzieht, ist nur zu verständlich und muss auch von ausgeprägten Individualisten respektiert werden, wenn sie diese magischen Plätze nicht versäumen wollen. Wo sich (wie hier) ständig viele Touristen aufhalten, sind allerdings auch die typischen Geschäfte anzutreffen, die wir mit 'Touristenfallen' verbinden. Offensichtlich gibt es genug Touristen, die diese Fallen nicht scheuen oder sogar lieben. Andernfalls gäbe es diese Geschäfte nicht. 



Aussichtsplattform an den Basteifelsen
Die Felsformation der Bastei bietet von ihren Aussichtsplattformen grandiose Blicke auf die Oberelbe und weitere Felsformationen der Umgebung wie Lilienstein, Schrammsteine, Affensteine, Winterberg, Königstein, Pfaffenstein, Gohrisch, Rauenstein usw., die allesamt mit Wanderwegen erschlossen sind. Die vermeintlich schönsten Routen folgen der historischen 'Malerwegroute', die Maler der Romantik, u.a. Casper David Friedrich und Ludwig Richter, in ihren Gemälden verklären.
Link zur Webseite des Malerwegs








Blick von der Bastei auf Oberelbe und Rauensteine
Scheinbar friedlich fließt die Elbe ca. 200 m unterhalb der Basteifelsen. Hin und wieder ziehen Lastenschiffe und Ausflugsschiffe vorbei. Letztere verkehren vor allem zwischen Dresden und Děčín, der Grenzstadt auf tschechischer Seite.
Tatsächlich sind jedoch Mittellauf und Oberlauf der Elbe anfällig für Hochwasser, die saisonal zum natürlichen Geschehen an der Elbe gehören. Bei dem Jahrhunderthochwasser im Jahr 2002 erreichte die Flutwelle eine Höhe von 9-10 m. Die zerstörerische Kraft dieser Flut kostet 21 Menschen das Leben und zog Sachschäden in Höhe von 8,6 Milliarden Euro nach sich. Andererseits sind sommerliche Niedrigwasserstände typisch, bei denen im Flussbett sog. 'Hungersteine' sichtbar werden. Die Pegelstände können bis unter 1 m sinken, so dass die Schifffahrt eingestellt werden muss.





Von Andreas Steinhoff bereitgestelltes Foto des Burgplans 
In unmittelbarer Nachbarschaft zu den Basteifelsen liegt die 'Felsenburg Neurathen'. Der Name 'Bastei' verweist auf historische Verbindungen zwischen der Felsgruppe und der Burg, deren Reste mitsamt einigen Rekonstruktionen gegen eine Eintrittsgebühr besichtigt werden kann. Dieses Angebot nehmen wir gerne an.
Die Ursprünge der Felsenburg liegen im Dunkeln. Spuren lassen sich bis in die Bronzezeit zurückverfolgen. Bewohnt war die befestigte Siedlung bis zum späten Mittelalter. Zuletzt sollen Einwohner Pirnas während des 'Dreißigjährigen Krieges' (1618-1648) Schutz vor marodierenden Schwedentruppen gesucht haben. Hauptzugang zur Burg war urspünglich eine Holzbrücke über die 'Mardertelle' an den Basteifelsen. 1826 wurde die Holzbrücke im Kontext der touristischen Erschließung rekonstruiert, zeigte sich jedoch dem Andrang der Touristen nicht gewachsen, so dass sie 1851 mit der noch heute vorhandenen Steinbrücke ersetzt worden ist.

Für den Rückweg von der Bastei nach Stadt Wehlen nutzen Bella und Richard wieder das Angebot des "Basteikraxlers". Angie und ich bevorzugen den Fußweg. Wir wählen eine Route durch den Schluchtengrund. Die wildromantischen Impressionen sind faszinierend und erinnern uns an Regenwälder der nordamerikanischen Westküste. Fotografisch ist das Terrain kaum angemessen zu fixieren. Die Vorgaben von Malern der Romantik bleiben ohnehin unerreichbar.









Bautzen, sorbische Metropole in der Oberlausitz
   
Unseren Trip setzen wir mit einen Ausflug nach Bautzen fort. Bautzen gilt als historische Hauptstadt der Oberlausitz, eine Region, die sich zwischen der Pulsnitz im Westen und dem Queis im Osten über Teile von Sachsen, Brandenburg und Polen erstreckt, aber historisch erst spät eine eigene regionale Identität entwickelt. Bautzen ist zugleich ein politisches und kulturelles Zentrum der Sorben, ein westslawischer Volksstamm, den die 'Völkerwanderung' in dieses damals nahezu unbewohnte Gebiet verschlagen hat, und der sich mit heute ca. 60.000 Angehörigen eine eigene Identität als nationale Minderheit mit einer eigenen Sprache bewahrt hat. Die Gemeinden und Vereine des Siedlungsgebietes sind zuständig für die Förderung und Entwicklung sorbischer Sprache und Kultur, z. B. durch zweisprachige Straßenbeschilderungen, Gebäudebeschilderungen und die Präsenz des Sorbischen in der Öffentlichkeit. Zweisprachige Ortsschilder und Wegweiser sind bereits vorgeschrieben. Bautzen ist darum auch obersorbisch als 'Budyšin' ausgewiesen.


Die kulturellen Hintergründe, Zusammenhänge, Überschneidungen und Entwicklungen sind für uns äußerst spannend, gehören aber zu einer Welt, deren Erfassung unsere australischen Freunde eher überfordert. Hierbei ist einzuräumen, dass eine intensive Annäherung an fremde Kultur während eines etwa zweistündigen Besuchs kaum gelingen kann.
Ein Rundgang durch die qualitativ äußerst gelungen restaurierte Altstadt lohnt sich selbstverständlich auch ohne Berücksichtung historischer und soziologischer Zusammenhänge, bedingt aber Informationsverlust gemäß Goethes Diktum "Was man weiß, sieht man erst!" ('Einführung in die Propyläen', 1798).






Ohne Wissen bleibt natürlich auch ein Informationsverlust verborgen. Ob diese Informationen bzw. ihr Verlust für Besucher aus der südlichen Hemisphäre von Relevanz sind/ist, können wir nicht beurteilen. Die Unsicherheit dieser Bewertung hat David Rumsfeld, Verteidungsminister der USA von 1975 bis 1977 und von 2001 bis 2006, perfekt formuliert (wofür Rumsfeld 2003 mit dem 'Foot in Mouth Award' ausgezeichnet worden ist, obwohl er lediglich Tse-Tang zitiert (besser: 'plagiiert') aus “Goldene Weisheiten des Sheng Fui”): 

"Wie wir wissen, gibt es bekanntes Wissen und Dinge, von denen wir wissen, dass wir sie wissen. 
Wie wir auch wissen, gibt es bekanntes Unwissen. Soll heißen: Wir wissen, es gibt Dinge, die wir nicht wissen. 
Aber es gibt auch Unwissen, von dem wir nichts wissen."

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen