Freitag, 21. Oktober 2011

Mythische Welten im Norden von Rügen - Australia meets Germany in Ostdeutschland

Blick auf den Kreidefelsen 'Königsstuhl' von der 'Viktoriasicht'
Nachdem wir gestern Spuren der keltischen Frühgeschichte im Süden Rügens gesucht haben und einige 'Dolmen' bei Lancken-Granitz finden konnten, sieht unser Programm heute Ziele im nördlichen Teil Rügens vor. Beginnen wollen wir mit der Halbinsel 'Jasmund', auf der seit 1990 ein Nationalpark besteht. Aushängeschild des Nationalparks sind Kreidefelsen an der Steilküste, die am besten vom Wasser zu sehen ist, weshalb täglich zahreiche Ausflugsschiffe von unterschiedlichen Orten Besucher über die Ostsee zur 'Stubenkammer' und dem 'Königsstuhl' bringen.
Für den Nachmittag ist nach einem Schlenker über die Halbinsel 'Wittow' ein Besuch von Rügens kleiner Schwesterinsel 'Ummanz' im 'Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft' vorgesehen. Ummanz ist über eine Brücke erreichbar und lockt mit einer Kranichkolonie, die sich alljährlich im Herbst hier versammelt. Mit bis zu 50.000 Kranichen handelt es sich auf dem Zug der Kraniche zwischen Skandinavien und Südspanien oder Nordafrika um den größten Rastplatz Europas.
Erneut freuen wir uns über schönes Wetter und beginnen den Tag selbstverständlich mit einem Morgenlauf, bei dem wir noch nicht ahnen, wie tief wir heute in die Geschichte Rügens vordringen werden.

Impressionen im Nationalpark Jasmund

Bella und Richard setzen wir im Hafen von Sassnitz ab, weil sie sich mit einem Ausflugsschiff zu den Kreidefelsen bringen lassen. Angie und ich fahren weiter bis zum Parkplatz bei Hagen, um zu Fuß durch den Nationalpark bis zu den Kreidefelsen zu gehen. Später werden wir uns dann wieder in Sassnitz treffen, um unser Programm gemeinsam fortzusetzten.
Auf unserem Weg zu den Kreidefelsen wird uns bald deutlich, dass der Nationalpark viel mehr als nur Kreidefelsen zu bieten hat. Wir treffen zunächst auf Hochmoore mit Totholz, die uns im Morgenlicht in eine Phantasie-Welt versetzen. Wenig später machen Hinweise auf historische Spuren aufmerksam, die sich auch in Rügens Mythenwelt niedegeschlagen haben. Auf dem Höhenrücken der Stubnitz gehen wir durch einen Buchen-Urwald, der seit dem Jahr 2011 zum UNESCO-Welterbe zählt. Gemäß überliefertem Glauben lebte in dem Buchenwald die altgermanische Göttin 'Hertha' (auch Erdmutter 'Nerthus' genannt).



Wir erreichen den fast kreisrunden  'Herthasee', in dem 'Hertha' gebadet haben soll. Dass im See Menschenopfer erbracht worden sind, ist historisch so wenig belegt wie eine germanische Göttin 'Hertha'. Möglicherweise geht der Name auf Übertragungsfehler zurück.
In der Nähe des Sees sind Wälle einer als 'Herthaburg' bezeichneten historischen Befestigungsanlage zu erkennen. Tatsächlich handelt es um eine von ehemals mehreren slawischen Fluchtburgen auf Rügen.


Bei der 'Herthaburg' sind Reste einer einstmals mächtigen alten Buche zu finden, deren Alter auf ca. 500 Jahre geschätzt wird. Gemäß 'Herthalegende' haben unter der Buche Elfen nach ihrem Bad im 'Herthasee' getanzt. Weitere Sagen ranken sich um einen 'Opferstein' für Menschenopfer.Die meisten dieser Legenden sind in der Zeit der Romantik entstanden (Ende 18. Jh bis Mitte 19. Jh). An der Legendenbildung sollen Betreiber von Gasthöfen kräftig mitgewirkt haben, um Besucher mit Sehenswürdigkeiten zu versorgen. Wie erfolgreich diese Arbeit war, beweisen jährlich mehr als 300.000 Besucher, die einen Nationalpark natürlich auch belasten. Seit der Eröffnung des 'Nationalpark-Zentrum Königsstuhl' im Jahr 2004 werden die Besucherströme gelenkt. Diese Einrichtung dient aber nicht nur dem Schutz der Region und dem Kassieren von Eintrittsgeldern, sondern informiert auch die Besucher und bietet über das Jahr Führungen und Veranstaltungen an.
Um auf der Landseite einen Blick auf die Kreidefelsen zu haben, ist die Aussichtsplattform des 'Königsstuhls' wenig geeignet. Von der Plattform sind nämlich die darunter liegenden Felsen kaum auszumachen. Die bessere Aussicht auf den 'Königsstuhl' bietet die nur wenige 100 m südlich liegende 'Viktoriasicht', deren Aussichtsplattform ohne Eintrittsgeld besucht werden kann (siehe Foto oben).



Herthaburg
Herthasee














Pfarrkirche Altenkirchen auf der Halbinsel Wittow

Pfarrkirche Altenkirchen
Aus unserer Reiseliteratur wissen wir, dass in der kleinen Ortschaft Altenkirchen eine der ältesten Kirchen Rügens steht. Ohne allzu hohe Erwartungen planen wir auf dem Weg nach Ummanz einen kurzen Stopp für eine Besichtigung. Wir stoßen auf ein für uns sensationell anmutendes historisches Juwel, für das wir gerne einen längeren Stopp einlegen.
Der gesamte Kirchenkomplex ist innen wie außen äußerst sehenswert und macht Geschichte unmittelbar erfahrbar. Für Interessierte lohnt sich ein Besuch auch mit einem Umweg!









Blick in die Sakristei der Pfarrkirche Altenkirchen
Vermutlich auf einem slawischen Begräbnishügel errichteten Dänen 1168 diese Kirche als dreischiffige romanische Baslika. Entstanden ist die Kirche im Kontext der Unterwerfung und Christianisierung der slawischen Bewohner Rügens, den Ranen, die im Ostseeraum Handel betrieben und sich auch als Piraten betätigten. Jahrzehntelange Konflikte mit dänischen Machtansprüchen beendete der dänische König Waldemar I. 1168 mit der Eroberung Rügens. Bis 1325 blieb das slawische Fürstentum Rügen unter dänischer Herrschaft und fiel nach dem Tod des letzten Slawenfürsten an das Herzogtum Pommern-Wolgast. Durch den 'Westfälischen Frieden', der das Ende des 'Dreißigjährigen Kriegs' besiegelte, wurde Pommern-Wolgast mit Rügen schwedisch. Nach einigem Hin und Her fiel Rügen erst 1815 mit den Beschlüssen des 'Wiener Kongresses' an Preußen.  
 Link zur Geschichte Rügens von Otto Wendler, 1895




Svantevitstein
Bei dem in der Mauer der Sakristei verbauten 'Svantevitstein' soll es sich um den Grabstein eines Svantevitpriesters von der Tempelburg auf Kap Arkona handeln, eine Orakelstätte, in der auch Menschenopfer belegt sind. Dargestellt ist der viergesichtige Slawengott 'Svantevit', ein Kriegsgott und oberste Gottheit des westslawischen Volks der 'Ranen' auf Rügen.
Die Vielgesichtigkeit der Darstellung soll vermutlich die vielfache Macht dieses Gottes symbolisieren. Wahrscheinlich wurde der Stein im Eingangsbereich der Kirche waagerecht verbaut, um den entmachteten Gott 'Svantevit' auf dem Weg zum Gottesdienst zu verhöhnen.








Markierungen in der Waffenkammer der Kirche
Namensgebend für Rügen ist der ostgermanische Stamm der 'Rugier', die aber während der 'Völkerwanderung' weiter nach Süden gezogen sind. Seit dem 7. Jahrhundert wird Rügen vom slawischen Stamm der Ranen besiedelt. Die wehrhafte Bevölkerung musste nach der Christianisierung zum Gottesdienst ihre Waffen abgelegen. Aus diesem Grund ist an der Kirche eine Waffenkammer angebaut. Die Symbole in den Ziegeln sind Hausmarken der Kirchgänger, die sie wie 'Garderobenummern' zum Aufbewahren ihrer Waffen nutzten. 
Link zu einem Blog, der die Geschichte der Slawen auf Rügen behandelt







Besuch der Insel Ummanz

Blick von Rügen nach Ummanz und der Ortschaft Waase
Nach der aufregenden Besichtigung in Altenkirchen suchen wir auf der Strecke nach Ummanz erst einmal eine Jausenstation. Im Hafen von Wiek treffen wir auf einige interessante Fischbuden. Für Eßplätze im Außenbereich ist es uns jedoch zu frisch, weshalb wir eine Pizzeria vorziehen.
Auf dem Weg nach Süden nutzen wir die Wittower Fähre und gelangen über die Ortschaften 'Trent' und 'Gingst' zu der Brücke, mittels der seit 1901 die Insel Ummanz an die Insel Rügen angebunden ist. Ummanz ist mit einer Fläche von 20 qkm keineswegs klein, aber so flach, dass die Insel erst spät auszumachen ist. An der höchsten Stelle ragt Ummanz 3 m über den Meeresspiegel. Unmittelbar hinter der Brücke liegt Waase, mit 180 Einwohnern der größte Ort von Ummanz, der am frühen Nachmittag fast ausgestorben wirkt. 
Link zur sehenswerten Webseite von Ummanz




Ein Wirtschaftsweg führt zu dem Vogelschutzgebiet, in dem sich die Kranichkolonie befindet. Der Weg ist nicht schwer zu finden. Am Ende des öffentlichen Teil dieses Weges stoßen wir auf eine größere Holzhütte auf Stelzen, die als Beobachtungsstation dient und mindestes 300 m vom Boddenrand entfernt ist, an dem die Vogelkolonie liegt. Andere Beobachter in der Station führen starke Ferngläser mit, während wir auf unsere schwachen Augen angewiesen sind, mit denen wir am Wasserrand einige Punkte sehen, bei denen es sich mit etwas Phantasie um Vögel handeln könnte. Außerdem stellen wir fest, dass wir zur falschen Tageszeit hier sind. Nur in der Morgendämmerung starten die Kraniche im Formationsflug zu ihren Futterplätzen und kommen abends zu ihrem Ruheplatz zurück, auf den wir hier schauen. Dank eines Youtube-Videos erhalten wir schließlich doch noch Bilder vom Kranichflug bei Ummanz und setzen diese mit den eigenen Erinnerungen zu einem imaginären Film zusammen.

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