Sonntag, 12. Februar 2012

Streifzug durch Berliner Kulturlandschaft im Februar 2012

»Shalechet« (Gefallenes Laub), Jüdisches Museum
Anthropomorphe (menschenähnliche) Grabstelen aus dem 4. Jh v. Chr.
Auf der Reise nach Rügen motivieren uns einige interessante Ausstellungen zu einem zweitägigen Zwischenstopp in Berlin. Just am Tag nach unserer Anreise eröffnet die Retrospektive anlässlich des 80.Geburtstages von Gerhard Richter. Die Ausstellung möchten wir uns nicht entgehen lassen, aber Tickets gab es im Vorverkauf nicht mehr. Erfolgreicher waren wir mit der Sonderausstellung "Roads of Arabia" im Pergamonmuseum, für die wir bereits Tickets haben.
Spannend ist zudem die Auswahl einer für uns neuen Unterkunft, dem Hotel Meliã auf der Friedrichstraße in unmittelbarer Nähe zum gleichnamigen Bahnhof.



Nein, Bescheidenheit und Intimität strahlt der Komplex des Hotels Meliã nicht aus. Trotzdem fühlen wir uns in dem geräumigen und komfortabel eingerichten Zimmer ausgesprochen wohl. Unser Zimmer liegt auf der ruhigen Rückseite des Hotels. Straßenlärm bekommen wir nicht mit. Dank der ruhigen Lage und komfortabler Betten ist der Schlafkomfort ausgezeichnet. Das Personal ist ausgesprochen freundlich, die attraktiven Restaurants des Hauses liegen deutlich über dem sonst üblichen Hotelstandard und die Lage in Berlin Mitte ist ein weiterer Trumpf dieses Hotels. Der extrem attraktive Zimmerpreis lässt uns ein Missverständnis befürchten, aber diese Furcht erweist sich als unbegründet.
An einem der beiden Abende besuchen wir zum Abendessen das Restaurant "Tapas" im Hotel und stellen fest, dass wir demnächst auch dann wieder hier einkehren werden, wenn wir nicht im Hotel wohnen. 

Ausstellung 'Roads of Arabia' im Pergamonmuseum
Nach Paris, Barcelona und St. Petersburg macht die Ausstellung 'Roads of Arabia' vom 26. Januar bis zum 9. April 2012 Station im Pergmonmuseum in Berlin. In islamischen Ländern ist die Ausstellung noch nie gezeigt worden obwohl die meisten der hier ausgestellten Objekte in Archiven in Riad ruhen.

Anders als der Titel vermittelt, macht die Ausstellung deutlich, dass die arabische Halbinsel über Jahrtausende mehr war als ein Wegenetz, auf dem Karawanen ihre Handeslwaren und insbesondere Weihrauch von und zu den kulturellen Zentren ihrer Zeit transportieren. Die Karawanenstraßen transportierten jedoch nicht nur Handelsware, sondern auch Kultur, und an den Kreuzungspunkten der Handelswege, den Oasen, entstanden neue, glanzvolle und mächtige regionale Kulturen, von denen wir bisher nahezu nichts wissen. In arabisch-islamischen Ländern wird gerne der Anschein erweckt, als sei der Islam die erste bedeutende Kultur dieser Region. Die Ausstellung spannt dagegen ein Panorma über 6.000 Jahre Kulturgeschichte, die mit etlichen Brüchen von der Frühgeschichte über die goldene Epoche in den Islam übergeht.


Ca. 6.000 Jahre alte anthropomorphe Grabstelen wirken trotz der Schlichtheit ihrer Darstellung unglaublich ausdrucksstark und erinnern an abstrahierende moderne Kunst. Noch abstrakter als Figurenstelen sind „Augenstelen“. Diese Grabmonumente zeigen als charakteristisches Merkmal ein stilisiertes menschliches Antlitz. Unter dem Gesicht ist häufig eine aramäische Inschrift mit Namen und Abstammung des Toten angebracht. Sie erlaubt eine Datierung der Stelen in das 5. - 4. Jahrhundert v. Chr. Andere Stelen zeigen nur ein Augenpaar.

Mit der Domestizierung des Dromedars setzt Arabiens goldene Epoche ein. Mit Hilfe des Dromedars transportieren Karawanen Weihrauch, Myrrhe und kostbare Gewürze aus den Königreichen im Süden der Halbinsel nach Syrien, Palästina und bis in den Mittelmeerraum. In den Oasen entwickeln sich Städte und Dynastien. Luxusgüter symbolisieren die neuen Machtstrukturen und erwecken zugleich Begehrlichkeiten, die kriegerische Auseinandersetzungen zwischen konkurrierenden Dynastien provozieren.



In der historischen Stadt Dedan / al-Ula des Königsreichs Lihyan im nordwestlichen Saudi-Arabien an der Weihrauchstraße waren ursprünglich die im 4.-2. Jh. v. Chr. entstandenen Kollossalfiguren aufgestellt, bei denen es sich vermutlich um Königsstatuen handelt. An den Standbildern lassen sich kulturelle Einflüsse griechischer, ägyptischer und syrischer Vorbilder ablesen.

Totenmaske und Handschuh, 1. Jh v. Chr.
Schmuckstücke, 1. Jh vor Chr.
Aus dem 1. Jh v. Chr. stammen die goldenen Grabbeigaben, die in Thaj, Tell a-Zayer, in dem Grab eines siebenjährigen Mädchens gefunden wurden.
Mit dem Aufkommen des Christentums bricht der Weihrauchhandel zusammen und damit die Grundlagen von Macht und Reichtum. Nach einigen Hundert Jahren der relativen Bedeutungslosigkeit dieser Region erwacht erst mit dem Islam eine neue Zeit.




ehemaliger Vorhang vor der Tür zur Kaaba
ehemalige Tür zur Kaaba
Detailmotiv der Tür zur Kaaba
Die Objekte der islamischen Zeit stammen vor allem aus den heiligen Pilgerstädten Mekka und Medina oder sie dokumentieren die Pilgerwege zu den heilgen Städten. Zu den Highlights der Ausstellung zählen eine 3,50 m hohe Tür aus den Jahren 1635/6, die den Raum zur Kaaba für ca.300 Jahre verschlossen hat sowie ein großer Vorhang, hinter dem sich ehemals die hier ausgestelte Tür zur Kaaba befunden hat. Beide Objekte sind noch nie außerhalb Saudi-Arabiens gezeigt worden. Die Tür ist reich geschmückt mit gehämmertem Silberblech, das mit Gravuren und Vergoldungen versehen ist. Die auf dem Vorhang angebrachten Symbole sind mit Gold- und Silberfäden durchwirkt.


Retrospektive anlässlich Gerhard Richters 80. Geburtstag in der Neuen Nationalgalerie
Heute ist der erste öffentliche Ausstellungstag der großen Retrospektive des aktuell einzigen lebenden deutschen Malers von Weltgeltung. Online waren im Vorverkauf die Tickets ausverkauft, aber so schnell geben wir nicht auf. Von der Museumsinsel schlendern wir bei winterlich-sonnigem Frostwetter über den Potsdamer Platz zum Kulturforum, bei dem die Nationalgalerie liegt.






Bereits von Weitem sehen wir die sich um das Gebäude windende Besucherschlange, die sich kaum vorwärts bewegt. Ein derart starkes Interesse haben wir nicht erwartet. Die Veranstalter offensichtlich auch nicht. Gemäß Ankündigung braucht kein Besucher zu befürchten, außerhalb des Gebäudes in der Kälte warten zu müssen. Das vollmundige Versprechen war nicht einzuhalten. 45 Minuten betrug die Wartezeit, lesen wir am nächsten Tag in der Zeitung. Besonders empört waren Besucher mit online vorgebuchten Tickets. Einen Bypass an der Schlange vorbei, wie wir ihn von der Museumsinsel kennen, gabe es nämlich nicht. Wir haben nicht vor, uns einzureihen und sind nachträglich unter den berichteten Umständen froh, keine Tickets bekommen zu haben. Unser alternativer "Plan B" sieht einen Besuch des Jüdischen Museums vor, das ca. 15 Gehminuten entfernt liegt.


Jüdisches Museum Berlin 
(Die nachfolgenden Beschreibungen basieren auszugsweise auf Texten der Webseite des Museums: Link zur Webseite des Jüdischen Museums Berlin)
Das Jüdische Museum besteht aus zwei Gebäuden. In dem älteren Gebäudeteil befinden sich die zentralen Einrichtungen. Die Ausstellungsräume liegen in einem neuen Gebäude. Das Konzept des Archikten des Neubaus, Daniel Libeskind, verspricht eine spannende Erfahrung. Die Kombination von zwei Linien formt den Baukomplex. Die erste Linie ist mehrfach geknickt, die zweite ist geradlinig und durchkreuzt immer wieder den gesamten Zickzack-Bau. Die Schnittstellen beider Linien bilden vertikale Leerräume, "Voids", die das Gebäude vom Erdgeschoss bis unter das Dach gliedern.





Das Untergeschoss des Libeskind-Baus verfügt über keinen offiziellen Eingang. Vom Altbau steigen wir die Treppe aus dem Altbau herab zu einem Wegesystem mit drei Achsen, die symbolisch für drei Wirklichkeiten der Geschichte der jüdischen Deutschen stehen.
Die erste und längste Achse ist die "Achse der Kontinuität". Sie verbindet den Altbau mit der Haupttreppe, die in die Ausstellungsebenen steil nach oben  führt. Die Achse der Kontinuität ist die vom Architekten beschriebene Straße der Verbindungen, die die anderen Achsen überwindet.
Die zweite "Achse der Emigration", führt in den Garten des Exils. Auf dem Weg nach draußen sind die Wände leicht schräg, der Boden ist uneben und steigt an. Der Gang wird immer enger, bevor durch eine schwere Tür der entscheidende Schritt in das Licht des Gartens gemacht werden kann.
Die dritte "Achse des Holocaust", ist eine schmaler und dunkler werdende Sackgasse, die zum Holocaust-Turm führt. In den Einbauvitrinen auf dem Gang befinden sich Zeugnisse und Dokumente des Untergangs.

Die Leerräume, Voids, sind das zentrale Strukturelement des Neubaus und gleichzeitig auch seine Verbindung zum Altbau. So betritt man im Altbau die Treppe ins Untergeschoss durch ein Void aus Sichtbeton, das beide Gebäude zusammenfügt.
Die Leerräume des Museums wollen das durch die Vernichtung des jüdischen Lebens in Europa nicht mehr Darstellbare, das Verlorene zeigen und den Verlust sicht- und fühlbar machen. Fünf große Leerräume durchziehen vertikal den Neubau. Sie sind unklimatisiert und weitgehend ohne künstliche Beleuchtung, klar abgetrennt vom Rest des Gebäudes. Ihre Wände bestehen aus nacktem Beton. In den oberen Ausstellungsgeschossen sind sie deutlich sichtbar durch die Void-Brücken markiert, mit schwarz gestrichenen Außenwänden. Einer der fünf Leerräume beherbergt die Installation »Shalechet« (Gefallenes Laub) mit 10.000 aus Eisenblech modellierten Gesichtern des israelischen Künstlers Menashe Kadishman.

Den Garten des Exils betritt der Besucher nach dem Verlassen der Achsen. 49 Betonstelen erheben sich auf einem quadratischen Grundriss. Die gesamte Anlage des Gartens ist um zwölf Grad geneigt und verwirrt die sinnliche Wahrnehmung des Besuchers. Diese räumliche Erfahrung soll auf die mangelnde Orientierung und das Gefühl von Haltlosigkeit verweisen, das Emigranten empfanden, die aus Deutschland vertrieben wurden. Aus den Stelen wachsen Ölweiden, die Hoffnung symbolisieren.









Die Ausstellungsobjekte des Museums sind nicht spektakulär, aber sie vermitteln ein ziemlich umfassendes Bild des jüdischen Lebens im deutschen Kulturraum seit dem Mittelalter bis in die Gegenwart.
Nicht unerwähnt sollte der attraktive Restaurantbereich bleiben, dessen verglastes Atrium zum Verweilen einlädt und den Blick in den Garten des Hofs öffnet.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen